Dialog der Religionen

„Erkennt die Einheit der Göttlichkeit, sinnt über diese Wahrheit nach, betrachtet diese Wahrheit als Gott und verbreitet diese Wahrheit an alle.“

Sathya Sai Baba, Ansprache vom 21. Oktober 2007

Die Entstehung unterschiedlicher Religionen

 „Die unterschiedlichen Religionen sind das Ergebnis historischer und geographischer Gegebenheiten.[1]

 Angesichts der vielfältigen Gefahren, Leiden und Unwägbarkeiten des Lebens, denen die Menschheit seit eh und je und mehr oder weniger hilflos ausgesetzt ist, war und ist es ihr natürliches Bestreben, bei einer »höheren Macht« Schutz zu suchen. Schon in den Frühkulturen der Menschheit bildeten sich religiöse Vorstellungen darüber aus, wie ein Schöpfergott seine Schöpfung beschützen könnte und sollte, wie man ihn anrufen und verehren sollte und wie man – im Vertrauen auf seine Hilfe – den schwierigen und gefährlichen Lebensweg besser zu meistern hoffte.

 Aus diesem Gefühl der Hilflosigkeit und aus einem umfassenden Schutzbedürfnis heraus entwickelten sich religiöse Traditionen mit ähnlichen Gottesvorstellungen und vergleichbaren moralischen und ethischen Anforderungen an das Idealbild des gottgefälligen Menschen. Dennoch verfestigten sich in der geschichtlichen Entwicklung der Religionsgemeinschaften dogmatische Unterscheidungen, die »meine« Religion und »meinen« Gott von den Vorstellungen der Andersgläubigen abgrenzen, und entwickelten sich Verkrustungen, die die Vorstellungen Andersgläubiger ausgrenzen.

Warum gibt es diese Unterscheidungen und warum konnten sie sich zu scheinbar unüberwindlichen Hürden im interreligiösen Dialog auswachsen?

 Warum setzten ein Buddha in seinen Lehrreden oder ein Jesus in seinen Predigten so unterschiedliche Schwerpunkte, die sich wiederum von den Aussagen im Koran oder von den vedischen Schriften der hinduistischen Traditionen vielfältig unterscheiden?

 ·    Weil die Menschen, die von Religionsstiftern wie Jesus und Buddha oder von Krishna angesprochen wurden, in unterschiedlichen Kulturen verwurzelt waren, in unterschiedlichen sozialen Gesellschaftsstrukturen lebten und in diesen Strukturen die ihnen angemessenen spezifischen sozialen Ordnungen entwickelt haben.

 ·    Weil sich in diesen Kulturen unterschiedliche Gottesbilder entwickelt haben, monotheistische Gottesvorstellungen wie im Christentum, Judentum und im Islam oder die vermeintliche »Vielgötterei« im Hinduismus – oder gar die abstrakten Vorstellungen zum göttlichen Urgrund, wie sie im Buddhismus und in den Weisheitslehren vedischer Traditionen zum Ausdruck kommen.

 ·    Und weil wir mehr oder weniger alle durch eine Vielzahl und Vielfalt täuschender Geistesfaktoren an der spontanen Akzeptanz einer tiefgründigen göttlichen Wahrheit gehindert werden. Nicht umsonst hat der Buddha die große Anzahl seiner Lehrreden, angeblich 84.000 Lehrreden, mit der ebenso großen Anzahl geistiger Hindernisse begründet, die es den Menschen so schwer machen, zu dieser göttlichen Wahrheit vorzudringen.

 Die Notwendigkeit der Annäherung

 Solange wir in separaten Kulturkreisen nur weit genug voneinander angesiedelt waren und sich die Kontakte und der spirituelle Austausch mit anderen Gemeinschaften auf wenige und zumal noch exotisch klingende Reiseberichte von Abenteurern, Entdeckern und Missionaren beschränkten, konnten sich kulturspezifische Glaubensunterschiede in den Grenzen ihrer dogmatischen Vorgaben weitgehend verstetigen ? sieht man einmal von den wenigen Brüchen in der Geschichte der Religionen ab, wie sie beispielsweise im Christentum in der Abspaltung der reformierten von der katholischen Kirche zum Ausdruck kam, oder wie sie sich im Islam in den aktuell wieder zutage tretenden Konflikten zwischen Sunniten und Schiiten zuspitzen.

 Mit dem Zusammenrücken der Völker und insbesondere mit der rasanten Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie in jüngster Zeit bahnt sich in allen Lebensbereichen – sowohl in Fragen der Politik, der Wissenschaft, der Wirtschaft wie auch in einem wachsenden Umweltverständnis – eine Globalisierung an, die auch die Unterschiede in den bestehenden Weltreligionen infrage stellt. Sie zwingt ihre Anhänger, vom obersten Religionsführer bis hin zum »gemeinen« Gläubigen, sich mit den unterscheidenden Merkmalen ihrer religiösen Ansichten und mit denen der anderen Glaubensrichtungen auseinander zu setzen.

 Die Zeiten des unreflektierten Nebeneinanders der Religionen werden immer fragwürdiger und der Ruf nach interreligiösem Dialog wird drängender.

 Eine Zeit, in der wissenschaftliche Erkenntnisse dominieren und der nicht hinterfragte Glaube an kirchliche Dogmen nicht mehr blindlings akzeptiert wird, »schreit« geradezu nach einem weltweiten interreligiösen Dialog. Migrationsprobleme und multikulturelle Gesellschaften verschärfen die Gefahren, die in der Verdrängung der notwendigen Verständigung mit Andersgläubigen liegen. Sie verdeutlichen, dass ein »Clash der Kulturen« nur im gegenseitigen Verstehen und im toleranten Umgang miteinander zu vermeiden sein wird.

 Zutreffend hat denn auch der Theologe Hans Küng in seinem „Projekt Weltethosdie Notwendigkeit erkannt, dass es

 ·        „keinen Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen geben kann

·        und dass es keinen Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen geben kann.“[2]

 Für Küng haben alle Weltreligionen bedeutende Gemeinsamkeiten: Alle Weltreligionen verbinde die Überzeugung von der fundamentalen Einheit der menschlichen Familie, von der Gleichheit und Würde aller Menschen, sowie der Glaube, dass Liebe, Mitgefühl, Selbstlosigkeit und die Kraft des Geistes und der inneren Wahrhaftigkeit letztlich größere Macht haben als Hass, Feindschaft und Eigeninteressen, ebenso wie die tiefe Hoffnung, dass letztlich der gute Wille siegen werde.

 Verstehen als Voraussetzung für echten Dialog

 Um andere Religionen verstehen zu können, muss ich sie zunächst kennen lernen, mich ernsthaft um ihre Inhalte bemühen, ihre Argumente verstehen, und prüfen, ob sie nicht auch für mich annehmbar und anwendbar wären.

 Vor allem ist es nicht angemessen, mich vorschnell zu Bewertungen der mir befremdlich erscheinenden Inhalte anderer Religionen hinreißen zu lassen, oder gar anderen eine vermeintliche Überlegenheit meiner religiösen Vorstellungen zu suggerieren und ihnen diese aufzudrängen.

 „Es ist nicht richtig, Einheitlichkeit vorzuschreiben.[3]

 Der Andersdenkende hat ein unverbrüchliches Recht, anders zu Denken:

·       Zum einen, weil es verschiedene Wege zur spirituellen Vollkommenheit gibt. Beispielsweise den Weg des selbstlosen Dienens, „Love all, serve all“, oder den mystischen Weg der Hingabe mit dem Ziel der Vereinigung mit dem Göttlichen oder den Weg des Verstehens und der Selbsterkenntnis, der direkten Erfahrung der anfänglichen und unverbrüchlichen Einheit mit dem Göttlichen.

 ·       Und zum anderen, weil nicht der Mensch, sondern göttliche Gnade den Verlauf unserer spirituellen Wege bestimmt und wir – als seine göttlichen Werkzeuge – auch nur das für richtig empfinden und verkünden können, was für uns als spirituelle Erfahrung hier und jetzt angesagt ist.

 Hier gilt es vor allem, die Andersartigkeit und das Andersdenken des anderen zu respektieren, um in einen wirkungsvollen Dialog eintreten zu können, das heißt, mit dem zunächst Andersdenkenden die Möglichkeiten einer dialektischen Verständigung auszuloten.

 „Ihr solltet nicht über die Unterschiede der Religionen diskutieren, sondern das Wesentliche und Gemeinsame, nämlich das Ziel, zu dem sie alle hinführen, erkennen.[4]

 Es gilt, Rücksicht zu nehmen auf die seelischen Befindlichkeiten und Traumata, die ungeschickte vorangegangene Auseinandersetzungen und missionarische »Vergewaltigungen« hinterlassen haben:

 „Sprecht zu Anfang nicht über bestehende Unterschiede in den Religionen, sondern betont eher offensichtliche Übereinstimmungen, so dass die zarten Seelen, für die ihr verantwortlich seid, nicht verwirrt oder schockiert werden.[5]

 Nur so kann ein geduldiger Prozess gegenseitiger Vertrauensbildung eingeleitet werden und der Boden für eine Erkenntnis vorbereitet werden, die die bisherigen Wege unterschiedlicher Spiritualität in eine umfassende Wahrheit einmünden lassen.

 Es gibt nur eine Wahrheit

„Es gibt viele Religionen, aber nur eine Wahrheit.“[6]

 Wir können aus einem unterschiedlichen Gottesverständnis unterschiedliche Wege zu Gott und einen anderen Weg des persönlichen Gottesdienstes gehen, aber nicht einen anderen Gott anbeten.

 Warum nicht?

 Wenn das Göttliche in seiner Essenz – wenn auch nicht in seiner Wahrnehmung durch den Menschen – allesdurchdringend und deshalb allgegenwärtig ist, wo sollte dann noch Raum sein für einen »zweiten« Gott?

 Wenn es nur einen Gott gibt, wird es für mich zunehmend unwesentlich, ob ich zu Gott, Allah, Ishvara oder zu welchem Gottesbild auch immer bete, und ob ich in einer Kirche, einer Moschee oder in einem Tempel bete.

 „Religion heißt Verwirklichung. Da es aber nur eine Verwirklichung gibt, ungeachtet dessen, zu welcher Religion sich die Menschen bekennen, ist es eine logische Schlussfolgerung, dass alle Religionen in ihrem Kern gleich sind; oder, um es noch präziser auszudrücken: Es gibt nur eine Religion.“[7]

 Wann aber ist die Zeit reif für eine solche Erkenntnis? Eine Zeit, in der auch die Kirchenführer bereit sein müssten, ihren jeweiligen Alleinvertretungsanspruch in Fragen der religiösen Wahrheit aufzugeben und auf solche Privilegien ihres Amtes zu verzichten, die sich aus der unangemessenen Abgrenzung zu anderen Religionen herleiten.

 Folgt man den Darlegungen Sathya Sai Babas, dann ist die Zeit hierfür noch in dieser Avatarschaft Sai Babas gekommen:

 „Erkennt die Einheit der Göttlichkeit, sinnt über diese Wahrheit nach, betrachtet diese Wahrheit als Gott und verbreitet diese Wahrheit an alle.[8]

 Die Aufforderung, jetzt endlich die Ebenen der spirituellen Ab- und Ausgrenzung zu überwinden und die Einheit der göttlichen Wahrheit zu erkennen und zu verinnerlichen, gipfelt in einer Ansprache Sai Babas vom 25. Oktober 2004, in der er die Täuschungen unserer weltlichen Wahrnehmungen aufdeckt und eindringlich unsere unverbrüchliche Einheit mit der Göttlichen Wahrheit offenbart, gepaart mit seinem Versprechen, dass in dieser Rede alles enthalten sei, was wir zukünftig diesbezüglich lernen und verstehen sollen.[9]

 Die Ebene vieler interreligiöser Dialoge konzentrierte sich bislang auf das bekannte Sprichwort: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg? auch keinem anderen zu.“

 Der spirituellen Bedeutung des Wortes »Logos«, des göttlichen Gedankens, und seiner Durchdringung im »Dialog« wird diese Form des interreligiösen Gesprächs, die sich nur auf den Austausch »unschädlicher« Gemeinsamkeiten beschränkt, nicht gerecht: weil sie nicht gestattet, sich im gegenseitigen Austausch und Lernen in die essentielle und verbindende Einheit aller Religionen zu entwickeln.

 „Die Essenz aller Religionen ist dieselbe, aber nicht alle erkennen diese Wahrheit.“[10]

 Nicht zur gleichen Zeit, möchte ich hinzufügen.

 Denn,wem die Stunde schlägt„, wer durch göttliche Gnade einsehen und verstehen soll, dass in den verschiedenen Religionen nicht von »Gleichem« oder »Ähnlichem« gesprochen wird, sondern von »Demselben«, der muss sich auch auf die sich daraus ergebenden Konsequenzen einlassen!

 Es bleibt ein schwieriger und zeitraubender Weg, diese letztlich Eine Wahrheit ? trotz ihrer unterschiedlichen Benennungen, beispielsweise in der christlichen Mystik, in den buddhistischen Leerheitsphilosophien und in den vedischen Lehren der Non-Dualität, zutiefst aufzunehmen und in natürlicher Weise als Einheit zu leben. Manche meinen das Gleiche, zögern aber immer noch, das Gleiche als das Verbindende anzuerkennen; nur allmählich werden wir darauf vorbereitet, das »Gleiche« als »Dasselbe« anzunehmen.

© Klaus Kück Heidelberg 2008, veröffentlicht in: Festival der Religionen, Sathya Sai Organisation Deutschland, Juni 2009, S. 28ff.


[1]  Sathya Sai Baba spricht, Band 30, S. 75.

[2]  Hans Küng, Projekt Weltethos, München 1990.

[3]  Sommersegen in Brindavan, Band 3, 1. Auflage 1991, S. 33.

[4]  Sommersegen in Brindavan, Band 4, S. 114.

[5]  Sathya Sai Baba spricht, Band 10, S. 115.

[6]  Sathya Sai Baba spricht, Band 20, S. 131.

[7]  Sommersegen in Brindavan, Band 7, S. 54.

[8]  Sathya Sai Baba, Ansprache vom 21. Oktober 2007.

[9]  Sathya Sai Baba, Ansprache vom 25. Oktober 2004.

[10] Sathya Sai Baba, Ansprache undatiert.